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Am
Sonntag vor meiner Abreise bin ich bei Abdouls Familie zu Gast. Die Familienmitglieder
sind zahlreich, das kommt daher, dass Abdouls Vater, der bereits ein Alter
erreicht hat, das man urgroßväterlich nennen kann, mit zwei Frauen
verheiratet ist. Abdouls Mutter ist seine erste Frau. An diesem Nachmittag
taucht sie nur kurz auf. Mir scheint, sie hat die größte Freiheit
im Hause der Frauen, sie kann, den Pflichten der Hausarbeit entledigt, unbehelligt
ihren Wegen gehen. Abdouls Mutter ist außergewöhnlich schön.
Ihre Tätowierung am Kinn verleiht ihrem Gesicht eine Unnahbarkeit,
die das Flüchtige ihres Erscheinens unterstreicht. Sie "tritt
auf" und als sie nach kurzer Zeit geht, bleibe ich mit bewunderndem
Staunen und vielen Fragen zurück.
Es ist früher Nachmittag und noch ist es ruhig in dem Zimmer, das man
das Fernsehzimmer nennen kann, denn der Raum hat außer einem Schrank,
in dessen Mitte ein Fernseher prangt, keine Möbel. Nur an den Wänden
sind Matten ausgelegt, auf denen man sich ausstrecken kann. Die zweite Frau
von Abdouls Vater ist eine rundliche Schönheit, die an die Nähe
Schwarzafrikas erinnert. Sie trägt einen Haik, einen schwarzen Schleier,
der wie ein Umhang über den bunten Gewändern getragen wird. Die
Frauen in den Straßen von Zagora tragen den Haik mit Stolz und Würde,
sie schreiten aufrechten Ganges, ihrer Schönheit und Macht bewusst.
Zwar beschränkt sich ihre Macht auf das Haus und alle Angelegenheiten
des Haushalts, aber in diesem Reich herrschen sie uneingeschränkt.
Nach und nach treffen die Töchter des Hauses zum sonntäglichen
Kaffeetratsch ein.
Bald ist der Raum erfüllt von ihren Schilderungen und Berichten der
Ereignisse der letzten Woche, mal laut und heftig, mal ruhig und verhalten
schwirren die vielen Stimmen wie ein Bienenschwarm um meinen Kopf. Milch
wird erhitzt und mit Kaffeepulver vermischt oder mit frischen Datteln. Ab
und zu steckt Abdouls Vater seinen Kopf herein und jedes Mal wird er von
seinen Enkelkindern bedrängt, er solle ihnen Geld für Eis geben.
Auch in mir wächst der Wunsch nach Abkühlung, denn meine Sinne
sind heißgelaufen ob der Fülle der Eindrücke und Wortkaskaden,
deren Sinn ich meist nur an Gestik und Mimik erahnen kann. So schlürfe
ich die süße Dattelmilch und ahne etwas von der Macht der Frauen,
den Königinnen des Südens. |